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4. Simons Rückkehr

 

Simon

»Eine kleine Botenratte hätte genügt«, sagte Sarah Heap gerade unter Tränen zu dem schwarz gekleideten Reiter, als Jenna und Septimus das Tor des Gemüsegartens erreichten, den eine Mauer umgab. Der Reiter war abgestiegen und kehrte ihnen den Rücken zu. Mit der einen Hand hielt er sein Pferd fest, mit der anderen tätschelte er Sarah, die ihm die Arme um den Hals geschlungen hatte.

Sarah Heap wirkte neben dem Mann klein und zerbrechlich. Das blonde Haar hing ihr zottelig auf die Schultern herab, und ihr langes blaues Baumwollkleid mit der goldenen Palastborte an Ärmeln und Saum konnte nicht verbergen, dass sie seit ihrer Rückkehr in die Burg abgemagert war. Doch ihre grünen Augen, mit denen sie zu dem schwarzen Reiter aufblickte, strahlten vor Erleichterung.

»Eine einzige Nachricht hätte genügt, um mich wissen zu lassen, dass du wohlauf bist«, schalt Sarah. »Mehr hätte ich nicht gebraucht. Hätten wir nicht gebraucht. Dein Vater war krank vor Sorge. Wir dachten, wir würden dich nie Wiedersehen ... Über ein Jahr warst du fort, und nicht ein Wort von dir. Du bist wirklich ein ungezogener Junge, Simon.«

»Ich bin kein Junge mehr, Mutter. Ich bin jetzt ein Mann. Ich bin zwanzig Jahre alt, falls du das vergessen hast.« Simon Heap löste sich aus der Umarmung seiner Mutter und trat zurück, da er sich plötzlich beobachtet fühlte. Er fuhr herum und sah seinen jüngsten Bruder und seine Adoptivschwester am Gartentor stehen. Er wirkte über den Anblick nicht besonders erfreut und wandte sich wieder seiner Mutter zu.

»Und davon abgesehen«, fuhr er in beleidigtem Ton fort, »brauchst du mich sowieso nicht mehr. Jetzt, wo du deinen lang vermissten, heißgeliebten siebten Sohn wiederhast. Zumal er es weit gebracht und mir die Lehrstelle weggeschnappt hat.«

»Hör auf damit, Simon«, protestierte Sarah. »Bitte, lass uns nicht gleich wieder streiten. Septimus hat dir nichts weggeschnappt. Man hat dir die Lehre doch niemals angeboten.«

»Man hätte es aber, wenn diese Rotznase nicht aufgetaucht wäre.«

»Simon! Ich will nicht, dass du so über Septimus sprichst. Er ist dein Bruder.«

»Ja, wenn es wahr ist, was Zelda, die alte Hexe, in dem schmutzigen Tümpel gesehen hat. Ich glaube nicht, dass es wahr ist.«

»Und sprich gefälligst nicht so über deine Großtante, Simon«, sagte Sarah leise. Langsam wurde sie ungehalten. »Was ich gesehen habe, was wir alle gesehen haben, ist wahr. Das weiß ich. Septimus ist mein Sohn. Und er ist dein Bruder. Es wird Zeit, dass du das akzeptierst, Simon.«

Septimus schlüpfte in den Schatten des Gartentors zurück. Das Gehörte stimmte ihn traurig, aber es überraschte ihn nicht. Er erinnerte sich nur zu gut daran, was Simon am Abend seines Lehrlingsessens in Tante Zeldas Hütte gesagt hatte. Diese Nacht in den Marram-Marschen war die erstaunlichste Nacht seines Lebens gewesen, denn er wurde nicht nur Marcias Lehrling, sondern er erfuhr auch, wer er wirklich war – der siebte Sohn von Sarah und Silas Heap. Doch in den frühen Morgenstunden nach der Feier kam es zwischen Simon und ihren Eltern zu einem furchtbaren Streit. Simon stürzte erbost davon, sprang in ein Kanu und paddelte bei Dunkelheit in die Marschen hinaus, zum Entsetzen ihrer Mutter (und ihres Bruders Nicko, der das Kanu erst kürzlich erworben hatte). Seitdem hatte man Simon nicht mehr gesehen – bis heute.

»Sollten wir nicht zu ihm gehen und hallo sagen, Sep?«, flüsterte Jenna.

Septimus schüttelte zögernd den Kopf.

»Geh du«, forderte er Jenna auf. »Mich will er nicht sehen, glaube ich.«

Er blieb im Schatten und sah ihr nach, wie sie den Garten durchquerte und den Kopfsalat, den Simons Pferd platt getrampelt hatte, umkurvte.

»Hallo, Simon«, grüßte Jenna und lächelte schüchtern.

»Ah«, rief Simon in leicht spöttischem Ton, »ich hatte gehofft, dich hier zu finden, in deinem Palast. Guten Morgen, Eure Majestät.«

»Noch werde ich nicht so angeredet, Simon«, erwiderte Jenna leicht verunsichert. »Erst wenn ich Königin bin.«

»Königin, ah ja –und sind wir dann auch vornehme Leute? Oder wirst du mit unsereins überhaupt noch sprechen, wenn du Königin bist?«

Sarah seufzte. »Hör auf damit, Simon.«

Simon sah seine Mutter an, dann Jenna. Seine Miene verfinsterte sich noch mehr, als er durch die offene Gartentür blickte. Seine grünlich schwarzen Augen glitten über das helle, freundliche Gemäuer des alten Palastes und seine beschaulichen Grünanlagen. Wie sehr unterschied sich das alles von dem chaotischen Zimmer, in dem er zusammen mit seinen fünf jüngeren Brüdern und seiner kleinen Adoptivschwester Jenna aufgewachsen war. Ja, es unterschied sich so sehr, dass er nicht mehr das Gefühl hatte, mit seiner Familie etwas gemeinsam zu haben. Am wenigsten mit Jenna, die ja ohnehin keine Blutsverwandte war. Sie war nichts weiter als ein Kuckucksei, das man ihnen ins Nest gelegt hatte, und wie jeder Kuckuck hatte sie das Nest in Beschlag genommen und zerstört.

»Na schön, Mutter«, sagte Simon schroff. »Ich höre damit auf.«

Sarah lächelte zögerlich. Sie erkannte ihren ältesten Sohn kaum wieder. Der Mann, der da in einem schwarzen Umhang vor ihr stand, kam ihr wie ein Fremder vor. Und nicht wie jemand, den sie sehr gern hatte.

»Na, Schwesterchen«, fuhr Simon etwas zu freundlich fort, »wie wär’s mit einem kleinen Ausritt auf meinem Donner?« Er tätschelte stolz das Pferd.

»Also, ich weiß nicht«, sagte Sarah.

»Warum denn nicht, Mutter? Hast du kein Vertrauen zu mir?«

Sarah schwieg nur eine Sekunde zu lange. »Aber natürlich«, antwortete sie.

»Ich bin nämlich ein guter Reiter, musst du wissen. Im vergangenen Jahr bin ich oft durch die Berge und Täler im Grenzland geritten.«

»Was? Durch die Ödlande?«, fragte Sarah mit Argwohn in der Stimme. »Was hast du denn dort gemacht?«

»Oh, dies und das, Mutter«, antwortete Simon ausweichend und machte plötzlich einen Schritt auf Jenna zu. Sarah trat vor, wie um ihn aufzuhalten, aber er war schneller. Mit einer einzigen Bewegung hob er Jenna in die Höhe und setzte sie aufs Pferd.

»Wie gefällt dir das?«, fragte er. »Donner ist ein schönes Tier, findest du nicht?«

»Schon ...«, antwortete Jenna unsicher, während der Rappe unter ihr tänzelte, als könnte er es nicht erwarten, loszugaloppieren.

»Wir reiten nur die Allee entlang, einverstanden?«, sagte Simon, und seine Stimme klang fast wie früher. Dann stellte er den Fuß in den Steigbügel und schwang sich hinter Jenna in den Sattel. Sarah wusste nicht, wie ihr geschah. Auf einmal blickte ihr ältester Sohn von oben auf sie herab und war im Begriff, etwas zu tun, wovon sie ihn nicht abhalten konnte.

»Nein, Simon, ich finde, Jenna sollte ...«

Simon trat dem Pferd in die Flanken und riss an den Zügeln. Das Tier wirbelte herum, zertrampelte den Thymian, den Sarah hatte pflücken wollen, und preschte zum Gartentor hinaus und außen um den Palast herum. Sarah rannte hinterher und rief: »Simon! Simon! Komm zurück ...!«

Doch er war schon fort. Nur Staubwolken, die das Pferd aufgewirbelt hatte, schwebten noch über dem Weg.

Sarah wusste nicht, warum sie Angst bekam. Schließlich hatte ihr Sohn seine Schwester nur zu einem Ausritt mitgenommen. Was war daran nicht in Ordnung? Sie blickte sich um. Wo steckte eigentlich Septimus? Sie war sich sicher, dass sie ihn vorhin mit Jenna hatte kommen sehen. Doch er war nicht da. Sie seufzte. Sie hatte es sich nur eingebildet. Wunschdenken, mehr nicht. Wieder einmal. Sie fasste einen Entschluss. Sobald Simon und Jenna zurück waren, wollte sie zum Zaubererturm gehen und Septimus für einen Tag zu sich holen. Immerhin musste Jenna morgen zum Drachenboot reisen, und es wäre schön, wenn Septimus sie vorher noch sehen könnte. Sie würde keinen Einwand von dieser Marcia Overstrand gelten lassen. Septimus brauchte mehr Zeit für seine Schwester, und auch für sie, seine Mutter. Und wenn Simon Gelegenheit hätte, ihn besser kennen zu lernen, würden vielleicht auch diese Spannungen aufhören.

Ganz in Gedanken kniete sich Sarah hin und versuchte, von drei entlaufenen Graseidechsen beobachtet, den zertrampelten Thymian zu retten, während sie auf Jennas und Simons Rückkehr wartete.

Septimus Heap 02 - Flyte
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